Das
war ein echter Hammer. Geradezu unverschämt! Auch noch im Salon de
Paris wollte er es ausstellen: Claude Monet und sein Gemälde Le
déjeuner (Das Mittagessen) von 1868. Dieses Gemälde – immer im
Städel zu sehen – ist gerade dort ein besonderes Highlight der
Ausstellung Monet
und die Geburt des Impressionismus
(sehr zu empfehlen: www.staedelmuseum.de).
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Le
déjeuner
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Historienbilder
sind groß, umfassend, majestätisch – die Königsdisziplin
der Malerei bis weit in die Neuzeit hinein. Und jetzt kommt dieser
Dandy Monet und erlaubt nicht nur einen Blick ins Private, er malt
dieses familiäre Mittagessen auch noch in raumfüllender Dimension,
wo traditionsgemäß maximal ein kleines Bild zulässig gewesen wäre.
Unerhört! Althergebrachte Grundsätze der Kunst werden verhöhnt.
Schlimmer noch, die dargestellte Szene präsentiert uns seine
Geliebte (!!!) Camille und den unehelichen Sohn Jean. Skandal! Dieser
Grenzgänger Monet will aber zugleich
Teil der bürgerlichen Gesellschaft sein. Daher darf natürlich das
Hausmädchen nicht fehlen.
Die
unendliche Tragik der Bildkomposition liegt für mich aber in der
zentralen Betonung der Nebensächlichkeiten – dem entscheidenden
Widerspruch der damaligen Kunsttradition: Das Essen steht im
Mittelpunkt.
Monet
ein früher Facebookianer?
Wir
kennen das heute. Sobald man auf Facebook aktiv ist, wird man von
Bildern mit Speisen und Getränken nahezu überschüttet. Als
Wohlbefinden wahrgenommene Alltäglichkeiten werden in unendlicher
Breite zelebriert. Es erinnert an die Schaumahlzeiten der Könige im
Mittelalter, später der Reichen und Mächtigen.
Tagtäglich
erleben wir in unserer Gesellschaft ein Schauspiel, dessen Qualität
von verwegener Selbstüberlistung, Ironie und Heuchelei zeugt. Wir
erleben eine mediale Inszenierung von Alltagskompetenz, die
erschreckend ist. Alleine heute, Dienstag, bietet uns das Fernsehen
mehr als 14 (!!!) verschiedene Kochsendungen an. Insgesamt haben wir
rund 90 Kochshows im Deutschen Programmangebot. Abgeschmeckt wird das
alles mit einem unendlichen Zeitungsangebot, Foren und
Internetangeboten.
Essen
ist Ausdruck von Lebensart. Japanische Kochmesser, Benimmschulen und
ausgefallene Gewürz-Gastgeschenke prägen die moderne Ernährung.
Einerseits.
Andererseits geht bei immer mehr Menschen die Fähigkeit zum Kochen
verloren. Ich möchte nicht wissen, wie viele
Fernsehzuschauer allabendlich mit der Chipstüte in der Hand, den
Resten
der Fertigpizza auf dem Tisch und dem Tetra Pak Rotwein schlürfend
„Das perfekte Dinner“ genießen.
Im
Alltag schlabbert einen an jeder Ecke irgendjemand mit Essen in Tüten
und Kaffee aus Pappbechern an. Hoch lebe der Umweltschutz! Die in mehr als 200 Jahren gewonnene und gewachsene soziale Architektur von Essen und Trinken geben wir der Beliebigkeit preis.
Unsere
Essgewohnheiten sind schlimmer als ein Sammelsurium
Während
unsere Vorfahren lediglich zwei Mahlzeiten am Tag kannten – morgens
gegen 11 und am frühen Abend gegen 17.00 oder 18.00 Uhr –
entstanden in der Neuzeit bis zu sieben Mahlzeiten am Tag. Unser
heutiges zweites Frühstück (die Frühstückspause) wurde im 19.
Jahrhundert in besseren Kreisen als Gabelfrühstück bekannt. Oft
regierte im Mittelalter Schmalhans als Küchenchef. So verwundert es
eben nicht, dass das einfache Volk (aber auch bei den Reichen und
Adligen war es oft schwer gute Kost zu genießen) häufig Essensreste
mit Essig aufkochte – die Mahlzeit hieß schlicht Sammelsur.
Hieraus hat sich das abfällige Sammelsurium unserer Sprache
entwickelt. Wir verbinden es kaum noch mit dem Essen. Mit Blick auf
Fast Food, Billiggerichte, Fertigessen und Tischverhalten wäre der
Begriff allerdings oft sehr passend.
Kein
Mord bei Tisch
Natürlich
gab es bei den Mächtigen der Vergangenheit oft große Gelage, trotz
häufiger Lebensmittelknappheit. Meist wurde alles Essen – saure
Speisen, kalte und warme Gerichte, Desserts – auf einen Schlag
serviert; es entstand ein fürchterliches Fressen. Keine Regeln, kein
Händewaschen, kein Besteck – oft nur das eigene Messer. Wenn es
ein Tischtuch gab, dann wurde es eher zum Abwischen des Mundes
benötigt. Trinkbecher oder Gläser für jeden Gast waren selten
(meist teilten sich zwei einen Becher).
Diese
Fress- und Trinkgelage endeten jedoch für manchen Teilnehmer
schlicht tödlich. Nicht selten entstand Streit, der zu
Handgreiflichkeiten und gewalttätigen Auseinandersetzungen führte.
Karl der Große hat daher schon den Mord bei Tisch unter harte Strafe
gestellt. Der Täter wurde hingerichtet. War er nicht ausfindig zu
machen und betrug die Zahl der Tischgäste weniger als sieben, so
wurden alle zur Verantwortung gezogen…
Das
Gemälde eine Provokation bis heute
Die
Tischsitten änderten sich, als Damen zu den Gelagen zugelassen
wurden. Erinnern wir uns nur an die Bedeutung der
Medici-Prinzessinnen Maria und Katharina, die nach dem
Hundertjährigen Krieg den verrohten Tischsitten in Frankreich
entgegenwirkten. Wegbereiter der Tischkultur waren aber oft und
nachhaltig die Klöster. Dort, wo viele Menschen jeden Tag alle
Mahlzeiten gemeinsam einnahmen, mussten Regeln den Ablauf bestimmen.
Während
über Jahrhunderte das Essen bei aller Kargheit ein
Gemeinschaftserlebnis war, erleben wir heute die Individualisierung
des Essens. Vielleicht liegt hier die 'eigentliche' Provokation des
Gemäldes von Claude Monet…
Letztlich
ist das Gemälde Le
déjeuner eine
Einladung zum Innehalten und zur Überprüfung eigener Ess- und
Tischgewohnheiten. Speisen von guter Qualität und schmackhafte Weine
mit lieben Menschen genießen. Claude Monet erinnert uns mit seinem
Bild aus dem Jahre 1868 heute noch an den Sinn und Wert einer
Tischgemeinschaft. Guten Appetit!