Mittwoch, 20. März 2019

Wein ohne Fisimatenten

Es war die teuerste Taxifahrt meines Lebens. Vor über 20 Jahren lud mich ein befreundeter Journalist zu seiner Geburtstagsfeier in den Weingarten nach Walluf. Meine erste persönliche Begegnung mit dem Weingut J. B. Becker. Viele weitere sollten folgen. Nach der Feier wollte ich zu einem Segeltörn auf dem Eiselmeer aufbrechen. Die gereichten, ambrosisch anmutenden, Weine brachten meinen fein ausgetüftelten Bahnfahrplan ins Wanken und ließen mich in tiefster norddeutscher Provinz stranden.

Der Weingarten, damals wie heute eine innovative Idee (oft kopiert und nie erreicht), lässt viel über das Weinverständnis von Hajo Becker, einem unbändigen Kämpfer für seine Rheingauer Heimat und voller Leidenschaft für einzigartige Weine, erahnen. Was sind nicht schon Titel für ihn erfunden worden - von Kultwinzer bis Lordsiegelbewahrer. Dazu Auszeichnungen ohne Ende. Selbst eine gelassene Eitelkeit, die er - ohne Frage - pflegen dürfte, ist ihm jedoch fremd. Unprätentiös - so lässt sich Hans Josef Becker, einer der besten deutschen Winzer, am ehesten beschreiben. Auch seine Weine bleiben bei aller Kraft und Reife unaufdringlich. Dem eiligen und schnellen Konsumenten erschließen sie sich nicht. Seine Weine verlangen Zeit und Muße. Dem geneigten Bacchanten öffnet sich aber eine gravitätische Welt des Genusses.

Gereifte Rieslinge und besondere Spätburgunder aus besten Lagen in Walluf und Eltville prägen dieses etwas mehr als 125 Jahre alte Weingut. Es ist der große Respekt vor der Natur und den Weinbergen, die Hajo Becker ausgesuchte Trauben bescheren. Im Keller lässt er seinen Weinen alle Zeit, die sie brauchen, um auch noch nach Jahrzehnten einen eigenen Charakter voller Persönlichkeit - fern von Petrolnoten - mit Tiefe und klaren Frucht- und Kräuteraromen zu besitzen. Einfach natürlich. Da ist Naturverbundenheit in Kombination mit Tradition ein wirklich nachhaltiges und erfolgreiches Programm.

Es ist noch nicht lange her, da bat mich Hajo Becker zu einem spontanen, unkomplizierten Abendessen in seine große Küche. Am schweren Holztisch mit Speisen, die der Kühlschrank hergab, entzündete sich gemeinsam mit seiner ebenso bezaubernden wie kompetenten Gattin Eva Becker, die für die internationale Ausrichtung des Weinguts steht, ein intensiver Gedankenaustausch - offen, direkt, hart in der Sache, fair und vertrauensvoll, voller Ideen und Visionen, dabei immer bodenständig im Rheingau geerdet. Beide, es war mit Händen zu greifen, stehen eben für eine Weinwelt ohne Sperenzchen, mit Niveau und voller hingebungsvollem Können. Für sie ist der Weinbau keine Aufgabe, es ist Berufung.

Wer zweifelt, sollte sich einfach einmal Zeit für eine Verkostung nehmen. Ein Highlight - oder ganz umgangssprachlich 'Großes Kino' - ist der 2007er Wallufer Oberberg Riesling Auslese. Am letzten Montag habe ich diesen Wein erstmals auf der ProWein verkostet. Feine, ausbalancierte Komposition reifer Früchte, anhaltend, ein kraftvolles Geschmackserlebnis. Dabei außerordentlich frisch und ein schmelziger Gaumenflirt. So Gott will, und Hajo mich lässt, werde ich diesen Wein die nächsten 20 Jahre regelmäßig probieren. Vielleicht auch einfach bei einem Picknick im Weingarten.

Mehr Infos unter: https://www.jbbecker.de