Dienstag, 11. Juli 2017

Von Terrassen- und Sommerweinen für Hinz und Kunz

Jetzt kommen sie: Die Hundstage. Vom 23. Juli bis zum 23. August stehen sie alljährlich für große Hitze in Europa. Der 'Hundsstern' Sirius wird uns wieder begleiten. Die griechische Mythologie weiß da um eine außerordentlich martialische Geschichte, die auch noch mit Wein zu tun hat. Der Gott Dionysos macht Ikarios mit dem Weinbau vertraut, und schickt in nach Attika, damit die Menschen den Wein kennenlernen. Dort erleben viele erstmals einen Rauschzustand, andere wähnen es eine Vergiftung und ermorden den Winzer und Weinhändler Ikarios. Sie verscharren ihn unter einem Baum, seine Tochter Erigone und ihr Hund Maira finden den Leichnam, bestatten ihn und Erigone erhängt sich. Dionysos macht sie alle zu Sternen bzw. Sternbilder – Ikarios wird zum Bärenhüter (Ochsentreiber), Erigone zur Jungfrau und Maira zum Sirius. Die Mörder aber seien auf die Insel Kea geflüchtet, wo Sirius sie mit seiner Hitze regelrecht grillt. Es wäre nur allzu stimmig, wenn zur Erinnerung an den ersten Weinhändler daher heute überall Sommer- und Terrassenweine angeboten würden. Wahrscheinlich würde es sogar Dionysos erfreuen. Weine für Jedermann, Getränke für Hinz und Kunz.

Klingt abwertend. Dabei entstand die Bezeichnung 'Hinz und Kunz' aus größter Hochachtung. Viele Herrscher, Herzöge und Grafen im Deutschland des 11. bis 13. Jahrhunderts hießen Heinrich oder Konrad. Es verwundert daher nicht, dass die beliebtesten Jungennamen jener Tage eben diese waren. Adelsleute, Händler, Bauern – sie alle wollten etwas von der Größe und der Macht der jeweiligen Herrscher auf ihre Söhne übertragen, manchmal auch nur ihre Gefolgschaft belegen. Die Jungs hießen also klassisch Heinrich, in der Kurzform Hinz (von Heinz), oder Konrad, kurz Kunz. 'Hinz und Kunz', heute spöttisch und oft abwertend benutzt, formulierte in früheren Tagen Zusammengehörigkeit, ein Gefühl des Dabeiseins.

Diese Wahrnehmung darf der Weintrinker oft erfahren. Weltweit. In Schweden lautet ein Sprichwort „Regen lässt das Gras wachsen, Wein das Gespräch.“ Und in Ghana sagt man, „Wo man trinkt, da wird auch gesprochen.“ Ja, Wein fördert die Begegnung, das Gespräch, den Austausch. Claude Tillier hat es einmal so bezeichnet: „Essen ist ein Bedürfnis des Magens. Trinken ein Bedürfnis des Geistes.“ Könnte mein Lieblingszitat werden …

Und doch ist heute in der sich so schnell verändernden Welt des Weines eine stetige Überforderung des geselligen Weintrinkers, von vermeintlichen Weinkennern gerne als 'Laie' verspottet, festzustellen. Nicht jeder Weinkenner ist ein Genießer, und nicht jeder Genießer ein Weinkenner. Am ehesten wird dies an den unendlich vielen, teils nahezu virtuosen Weinbeschreibungen deutlich. Literarische Übungen werden hier vollzogen, die zuweilen geheime Wünsche und Sehnsüchte vermuten lassen. „Fette Wuchtbrummen“ würden mir bei einer Weinbeschreibung z. B. nicht unbedingt einfallen, auch nicht Bezeichnungen wie „geil“ oder gar „geiler Scheiß“. Muss mir nicht gefallen. Unsere Sprache ist so reich an schönen Worten und Beschreibungen. Manche mögen es eben etwas knackiger. Auch okay. Wieso nicht. Das Problem ist ein anderes. In keiner anderen Branche werden so unendlich viele Superlative verwendet, wie in der Welt des Weins. Dazu auch noch ein breites Spektrum an Punktevergaben, die in meinen Augen mittlerweile zu mehr Verwirrung als Auszeichnung führen. Die Entwicklung zur Wein-Event-Welt hat eben ihren Preis.

Das ist nicht neu. Qualitätseinstufungen waren und sind wichtig. Sie können aber immer nur eine Orientierungshilfe für das eigene Kaufverhalten sein. Wie die Aussage: Leichte Weine im Sommer, schwere Rotweine im Winter. Früher schon kannten wir z. B. den Herrenwein für kräftige, betonte Weine. Und natürlich auch den Damenwein. Roséweine standen beispielsweise dafür. Heute erleben wir eine Renaissance der Roséweine. Nicht als Damenwein, nein, wer will denn heute noch ein Chauvinist sein. Wir lieben die Weine als leichte, frische Sommerweine. Eine Bezeichnung, die seit wenigen Jahren stark in Mode ist. Sommerweine, die sich von Frühlingsweinen doch unterscheiden sollten. Ja, jetzt wird es schon schwierig. Ich werde mich hüten, hier in eine Unterscheidungsdiskussion zu beginnen. Weine für alle Gelegenheiten und Jahreszeiten. Manchmal eine gute Basis für die eigene Kaufentscheidung. Oft nur Verwirrung. Das Ergebnis von immer stärkerer Werbeaktivitäten für das Lebensmittel Wein. Jedes Weinerlebnis soll und muss ein unvergesslicher Moment werden. Alles wird passend arrangiert, Bilder entstehen, Träume werden Wirklichkeit und der Wein – natürlich aus dem richtigen (!) Glas – wird zum puren Genuss.

Nein, schlechte Weine braucht niemand. Aber, können wir Hinz und Kunz nicht einfach in ihrem Geschmacksurteil trauen: Wein schmeckt oder schmeckt nicht. Ja, laden wir immer wieder zu neuen Weinentdeckungen ein. Den Blick und den Geschmack weiten, ist genussvolles Leben. Manch einem genügt aber auch der einfache Supermarktwein, den er aus dem Wasserglas auf dem Balkon genießt und sich in Gedanken an einem Mittelmeerstrand wähnt. Ja! Für einen solchen Glücksmoment braucht es kein großes Wissen, es braucht die Freude am Genuss. Mehr noch, Unbefangenheit und Offenheit.

Hermann Hesse hat in einem Brief 1936 einmal geschrieben: „Wenn Sie eine Blume betrachten oder an ihr riechen, so werden Sie ja auch nicht gleich darauf die Blume zerpflücken und zerrupfen, sie untersuchen und mikroskopieren, um herauszukriegen, warum sie so aussehen und so duften muß. Sondern Sie werden eben die Blume, ihre Farben und Formen, ihren Duft, ihr ganzes Dasein in seiner Stille und Rätselhaftigkeit auf sich wirken lassen und in sich aufnehmen. Und sie werden von dem Blumenerlebnis genau in dem Maß bereichert sein, in dem Sie der stillen Hingabe fähig sind.“

Bevor ich es vergesse, ich mag im Sommer auf der Terrasse auch einfach einmal ein schönes, kaltes Weizenbier.