Jetzt
kommen sie: Die Hundstage. Vom 23. Juli bis zum 23. August stehen sie
alljährlich für große Hitze in Europa. Der 'Hundsstern' Sirius
wird uns wieder begleiten. Die griechische Mythologie weiß da um
eine außerordentlich martialische Geschichte, die auch noch mit Wein
zu tun hat. Der Gott Dionysos macht Ikarios mit dem Weinbau vertraut,
und schickt in nach Attika, damit die Menschen den Wein
kennenlernen. Dort erleben viele erstmals einen Rauschzustand,
andere wähnen es eine Vergiftung und ermorden den Winzer und
Weinhändler Ikarios. Sie verscharren ihn unter einem Baum, seine
Tochter Erigone und ihr Hund Maira finden den Leichnam, bestatten ihn
und Erigone erhängt sich. Dionysos macht sie alle zu Sternen bzw.
Sternbilder – Ikarios wird zum Bärenhüter (Ochsentreiber),
Erigone zur Jungfrau und Maira zum Sirius. Die Mörder aber seien auf
die Insel Kea geflüchtet, wo Sirius sie mit seiner Hitze regelrecht
grillt. Es wäre nur allzu stimmig, wenn zur Erinnerung an den ersten
Weinhändler daher heute überall Sommer- und Terrassenweine
angeboten würden. Wahrscheinlich würde es sogar Dionysos erfreuen.
Weine für Jedermann, Getränke für Hinz und Kunz.
Klingt
abwertend. Dabei entstand die Bezeichnung 'Hinz und Kunz' aus größter
Hochachtung. Viele Herrscher, Herzöge und Grafen im Deutschland des
11. bis 13. Jahrhunderts hießen Heinrich oder Konrad. Es verwundert
daher nicht, dass die beliebtesten Jungennamen jener Tage eben diese
waren. Adelsleute, Händler, Bauern – sie alle wollten etwas von
der Größe und der Macht der jeweiligen Herrscher auf ihre Söhne
übertragen, manchmal auch nur ihre Gefolgschaft belegen. Die Jungs
hießen also klassisch Heinrich, in der Kurzform Hinz (von Heinz),
oder Konrad, kurz Kunz. 'Hinz und Kunz', heute spöttisch und oft
abwertend benutzt, formulierte in früheren Tagen
Zusammengehörigkeit, ein Gefühl des Dabeiseins.
Diese
Wahrnehmung darf der Weintrinker oft erfahren. Weltweit. In Schweden
lautet ein Sprichwort „Regen lässt das Gras wachsen, Wein das
Gespräch.“ Und in Ghana sagt man, „Wo man trinkt, da wird auch
gesprochen.“ Ja, Wein fördert die Begegnung, das Gespräch, den
Austausch. Claude Tillier hat es einmal so bezeichnet: „Essen ist
ein Bedürfnis des Magens. Trinken ein Bedürfnis des Geistes.“
Könnte mein Lieblingszitat werden …
Und
doch ist heute in der sich so schnell verändernden Welt des Weines
eine stetige Überforderung des geselligen Weintrinkers, von
vermeintlichen Weinkennern gerne als 'Laie' verspottet,
festzustellen. Nicht jeder Weinkenner ist ein Genießer, und nicht
jeder Genießer ein Weinkenner. Am ehesten wird dies an den unendlich
vielen, teils nahezu virtuosen Weinbeschreibungen deutlich.
Literarische Übungen werden hier vollzogen, die zuweilen geheime
Wünsche und Sehnsüchte vermuten lassen. „Fette Wuchtbrummen“
würden mir bei einer Weinbeschreibung z. B. nicht unbedingt
einfallen, auch nicht Bezeichnungen wie „geil“ oder gar „geiler
Scheiß“. Muss mir nicht gefallen. Unsere Sprache ist so reich an
schönen Worten und Beschreibungen. Manche mögen es eben etwas
knackiger. Auch okay. Wieso nicht. Das Problem ist ein anderes. In
keiner anderen Branche werden so unendlich viele Superlative
verwendet, wie in der Welt des Weins. Dazu auch noch ein breites
Spektrum an Punktevergaben, die in meinen Augen mittlerweile zu mehr
Verwirrung als Auszeichnung führen. Die Entwicklung zur
Wein-Event-Welt hat eben ihren Preis.
Das
ist nicht neu. Qualitätseinstufungen waren und sind wichtig. Sie
können aber immer nur eine Orientierungshilfe für das eigene
Kaufverhalten sein. Wie die Aussage: Leichte Weine im Sommer, schwere
Rotweine im Winter. Früher schon kannten wir z. B. den Herrenwein
für kräftige, betonte Weine. Und natürlich auch den Damenwein.
Roséweine standen beispielsweise dafür. Heute erleben wir eine
Renaissance der Roséweine. Nicht als Damenwein, nein, wer will denn
heute noch ein Chauvinist sein. Wir lieben die Weine als leichte,
frische Sommerweine. Eine Bezeichnung, die seit wenigen Jahren stark
in Mode ist. Sommerweine, die sich von Frühlingsweinen doch
unterscheiden sollten. Ja, jetzt wird es schon schwierig. Ich werde
mich hüten, hier in eine Unterscheidungsdiskussion zu beginnen.
Weine für alle Gelegenheiten und Jahreszeiten. Manchmal eine gute
Basis für die eigene Kaufentscheidung. Oft nur Verwirrung. Das
Ergebnis von immer stärkerer Werbeaktivitäten für das Lebensmittel
Wein. Jedes Weinerlebnis soll und muss ein unvergesslicher Moment
werden. Alles wird passend arrangiert, Bilder entstehen, Träume
werden Wirklichkeit und der Wein – natürlich aus dem richtigen (!)
Glas – wird zum puren Genuss.
Nein,
schlechte Weine braucht niemand. Aber, können wir Hinz und Kunz
nicht einfach in ihrem Geschmacksurteil trauen: Wein schmeckt oder
schmeckt nicht. Ja, laden wir immer wieder zu neuen Weinentdeckungen
ein. Den Blick und den Geschmack weiten, ist genussvolles Leben.
Manch einem genügt aber auch der einfache Supermarktwein, den er aus
dem Wasserglas auf dem Balkon genießt und sich in Gedanken an einem
Mittelmeerstrand wähnt. Ja! Für einen solchen Glücksmoment braucht
es kein großes Wissen, es braucht die Freude am Genuss. Mehr noch,
Unbefangenheit und Offenheit.
Hermann
Hesse hat in einem Brief 1936 einmal geschrieben: „Wenn Sie eine
Blume betrachten oder an ihr riechen, so werden Sie ja auch nicht
gleich darauf die Blume zerpflücken und zerrupfen, sie untersuchen
und mikroskopieren, um herauszukriegen, warum sie so aussehen und so
duften muß. Sondern Sie werden eben die Blume, ihre Farben und
Formen, ihren Duft, ihr ganzes Dasein in seiner Stille und
Rätselhaftigkeit auf sich wirken lassen und in sich aufnehmen. Und
sie werden von dem Blumenerlebnis genau in dem Maß bereichert sein,
in dem Sie der stillen Hingabe fähig sind.“
Bevor
ich es vergesse, ich mag im Sommer auf der Terrasse auch einfach
einmal ein schönes, kaltes Weizenbier.