Donnerstag, 22. März 2018

Addschee in Lorch!

Eine ausgezeichnete Weinauswahl im Weingut Mohr.
Der Rheingau ist schön. Es ist eine vielfältige Schönheit, die diese Region prägt. Mal sind es die Weiten des Tals mit seinen vornehmen Schlössern und den weithin sichtbaren Weinbergen, mal die Enge des Mittelrheintals mit seinen Steilhängen und martialischen Burgen. Ein überschaubares Gebiet und doch so unterschiedlich. Dabei sind es gerade diese Kontraste, die den Rheingau ausmachen. Von der Kurfürstlichen Burg in Eltville über Schloss Johannisberg bis zum Binger Mäuseturm und der Martinskirche in Lorch. Alles eine Einheit. Während in früheren Zeiten der Mainzer Kurfürst zeitweise in Eltville residierte, Johannisberg ursprünglich Bischhofsberg heißen sollte, kurfürstlicher Zoll am Mäuseturm erhoben wurde, diente Lorch zu jener Zeit als rechtsrheinischer Grenzort des Kurfürstentums. Die große und markant herausstechende Lorcher Kirche trägt den Namen des Mainzer Bistumspatrons, St. Martin. Ein Monument gotischer Baukunst. Viel zu groß für eine 'Grenzfeste'. Auch die Ausstattung - im Rheingau selten. Sei es der wertvolle Hochaltar aus Holz, die wunderschöne Trauben-Madonna aus der Mitte des 14. Jahrhunderts (heute gegenüber im Museum zu besichtigen) oder die unvergleichliche Lorcher Turmmonstranz aus der Zeit um 1420. Lorch war bedeutsam. Ist es noch heute. In keinem anderen Ort im Rheingau spürt und atmet der geneigte Besucher dieses fragile innere Streben nach Einheit von Geschichte und Zukunft, von Tradition und Offenheit. Wer eine Identität des Rheingaus sucht, hier wird er fündig.

Es ist ein herzliches Willkommen im Weingut Mohr. Der Winzer Jochen Neher sieht mich schon, bevor ich klingele. Und ohne lange Vorrede sind wir gleich auf einem Rundgang durch das Weingut. Alles ein wenig beengt. Kleine Häuser, enger Raum - im alten Kern von Lorch ist nicht viel Platz. Jochen Neher beklagt sich nicht. Im Gegenteil. Den Standort beizubehalten, war eine bewusste Entscheidung. Dabei hätte eine Aussiedlung viele Möglichkeiten eröffnet. Im Gut des Urgroßvaters Wilhelm Mohr III. zu bleiben, ist ein Ausdruck von Verbundenheit. Mehr noch, es ist Überzeugung und Standfestigkeit.

Jochen Neher ist ein ruhiger Typ. Präsent. Nicht aufdringlich. So sind auch seine Weine. Er nimmt sich Zeit für sie und lässt ihnen diese auch. Ohne Übertreibung: Die Weine des Weinguts Mohr sind eine Hommage an die Rheingauer Landschaft und Natur. Der Winzer Neher macht seine Weine dort, wo er herkommt. Dort, wo sein Urgroßvater 1875 mit dem Weinbau begann. Dessen jüngste Tochter vermählte sich mit dem Bad Homburger Dr. Peter Neher. Über die Hausmusik lernten sie sich kennen. Und Jochen Nehers Vater, Wolfgang, fand seine Frau in Rheinhessen. 'Vun der anner Seit', wie der Rheingauer sagt. Wer jene Zeiten versteht, weiß, es brauchte Mut und Offenheit.

Mut und Offenheit - so könnte man auch das Credo des Weinguts überschreiben. Jochen Nehers Weine sind nicht alltäglich. Schon gar nicht im Rheingau. Nein, hier ist nichts profan. Wir verkosten den gerade abgefüllten 2017er Weißburgunder trocken. Ich werde nicht alle verkosteten Weine hier vorstellen. Nein, es lohnt sich ein Besuch im Weingut und in der Straußwirtschaft. Ein Muss für jeden, der wirklich gute Weine zu schätzen weiß. Der Weißburgunder überzeugt trotz seiner Jugendlichkeit mit reifen Fruchtnoten, am Gaumen mit einem leichten Karamellgeschmack, einer angenehmen und doch fülligen Säure. Geschmackvoll!

Alle Weinflaschen im Weingut haben einen Schraub- oder Glasverschluss. Die Etiketten erinnern in ihrem Muster an die in der dekorativen orientalischen Architektur verwendeten Girih-Kacheln. Kein Wunder! Just, als mir Jochen Neher dies erklärt, schaut seine Frau, Saynur Sonkaya-Neher, kurz in den Raum. Sie ist in Eile, trotzdem bleibt Zeit für eine fröhliche, ansteckende Begrüßung. Vor über 20 Jahren haben sich der Lorcher und die Türkin auf einer Weinprobe in Essen kennengelernt. Was für ein tolles Paar! Saynur Sonkaya-Neher ist mit ihren Kochkursen - 'KOMM TÜRKISCH KOCHEN' sehr gefragt. Eine spannende, gelebte Verbindung von Rheingau und Orient. Sie wird mir hoffentlich verzeihen, dass ich nicht mehr über die zweite Säule des Weinguts schreibe, obwohl dies allzu verlockend wäre.

Der Weißburgunder wird in einer neuen Linie präsentiert: "TAUSEND & EIN GESCHMACK". Neben den Weinen dieser Linie gibt es vier Klassifikationen im Weingut: KLASSIKER, EDITION, PREMIUM und SOLISTEN. Mit KLASSIKER bezeichnet Jochen Neher feinfruchtige Weine für jeden Tag. Ausgewogene und komplexe Weine finden sich in der EDITION. Die PREMIUM-Weine sind geradezu eine Einladung zu höchstem Weingenuss. Ich weiß, es ist nicht fair, hier auf die Vorstellung der einzelnen Weine zu verzichten. Soviel will ich sagen, es sind durch die Bank weg echte 'Kracher', auch wenn das nicht unbedingt eine weintypische Bezeichnung ist.

Jochen Neher will unkomplizierte Weine, die Spaß machen. Auch noch nach Jahren der Lagerung. Ihm kommt es dabei auf höchste Traubenqualität an. Seine Überzeugung: "Die Natur macht alles richtig, wenn man ihr die Zeit dazu lässt." So werden natürlich auch die besten Weine spontan vergoren. Und alle Weine werden vegan erzeugt. Es braucht keine Zusätze. Seit 2011 ist das Weingut Mitglied im ECOVIN-Verband. 7,5 Hektar werden bewirtschaftet. Mit unendlich viel Handarbeit von Lorch bis Assmannshausen.

Es ist diese Liebe und Hingabe zu seinen Weinbergen und seinen Weinen, die Jochen Neher in seiner Arbeit fesseln. Ohne Frage, bestes Winzerniveau. Damit prahlt er nicht. Eher demütig präsentiert er seine Weine. Vielleicht macht ihn das gerade so authentisch. So zurückhaltend lädt er mich auch zur Verkostung des 2016er Lorcher Schlossberg 34 ein. Ein Wein der gutseigenen Klassifikation SOLISTEN. Boah! Wein von den ältesten Rebstöcken des Rheingaus - 1934 gepflanzt. Im Zeitpunkt der Lese 82 Jahre alt. 300 Liter wurden auf 970 qm geerntet. Aprikose, Pfirsich und noch mehr Fruchtnoten, überwältigend. Dazu Minze und Honig. Wenn es noch einer Überzeugung bedurft hätte, damit wäre sie vollends gelungen. Ein spritziger Riesling voller Kraft und Dauer. Klar, er hat auch eine Speiseempfehlung dafür. Nein, da brauche ich keinen Anlass für. Den genieße ich an einem lauen Sommerabend nur mit besten Freunden.

Wir haben die Zeit aus dem Blick verloren. Es wird höchste Zeit für den Abschied. Andere Verpflichtungen warten schon ungeduldig. Uns bleibt nur ein schnelles 'Addschee'. Dieses wohlklingende Rheingauer Wort 'Addschee' hört man heute selten. Kaum einer weiß um seine Herkunft und Bedeutung. Im südwestdeutschen Sprachraum kennen wir noch 'Ade'. Beide Worte haben ihren Ursprung im französischen 'Adieu'. Es war die kaiserliche Propaganda im I. Weltkrieg, die diesen seit Jahrhunderten gepflegten französischen Gruß Adieu aus unserer Sprache verdrängen wollte ("Der Deutsche grüsst Auf Wiedersehen!"). Engstirnigkeit äußert sich oft auch in der Sprache. Ich durfte wieder einmal traditionelle Aufgeschlossenheit und weltoffenen Lifestyle erleben und genießen. Ich komme wieder. Versprochen. Addschee in Lorch!

Mehr Infos unter www.weingut-mohr.de
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