Dienstag, 3. Oktober 2017

Weinzeit

Deutscher Rotwein? Ich bin da immer skeptisch. Wir sind doch ein Weißwein-Land. Jetzt wird der eine oder andere Weinkenner und auch Winzer schon die Nase rümpfen. Natürlich gehöre Rotwein zum Weinland Deutschland; seit Jahrhunderten und übrigens erst recht seit dem Klimawandel. Ja, um der historischen Betrachtung gerecht zu werden: Rote Burgundersorten dominierten über Jahrhunderte unsere Weinberge. Nicht zuletzt durch die hierzulande nahezu ewig wirkenden Zisterziensermönche. Der Riesling und andere Weißweine präsentieren sich in ihrer Vielfalt erst seit etwas mehr als 300 Jahren. Zugleich gab und gibt es auch in Deutschland 'klassische' Rotweinzentren. Und, viele Weingüter haben heute Rotwein in ihrem Portfolio, weil es der Kunde doch erwartet. Kundenbindung.

Ganz subjektiv ist mir jedoch Rotwein von deutschen Winzern oft zu flach oder zu teuer. Der Preis - ein altes Thema. Wann ist ein Rotwein gut? Die Antwort lautet nicht, wenn er günstig ist. Auch nicht, wenn er Potenzial hat. Mein Credo lautet, der geneigte Leser und die geneigte Leserin wissen es, wenn er schmeckt. Stimmt, wird jetzt der eine oder andere sagen. Aber, Achtung! Der weintrinkende Mensch ist verführbar. Und wie! Gerade jetzt im Herbst. Es ist die spannendste Zeit im Jahresgenuss. Ein Spektakel der Sinne, der olfaktorischen und gustatorischen Wahrnehmung. Jahreszeitliche Küche mit erstklassigen Ingredienzien, Wildgerichten, Eintöpfen und schon in wenigen Wochen den traditionellen Gansessen - der Herbst macht Spaß. Für Genießer allemal.

Früher, um noch einmal an die historische Betrachtung anzuschließen, war das anders. Oft war Schmalhans der Küchenregent. Unser Wort Sammelsurium kommt z. B. aus dieser Zeit. Sammelsur - ein meist saurer Eintopf aus Speiseresten. Es gab eben noch keinen Frische- und Lieferdienst. Die Versorgungslage war auch für den Adel nicht einfach. Gut, man hatte mehrere Burgen und Schlösser, Güter und Höfe. Das Problem: Transportwege und Haltbarkeit. Fürsten, Könige und Kaiser waren daher oft auf Reisen. Nicht nur zur Bewahrung ihrer Macht in ihrem Herrschaftsgebiet, sondern auch zur Sicherstellung der Versorgung des eigenen Hofstaats. Das Zeitalter des Reisekönigtums. Die Zeiten ändern sich, Supermärkte, Versandhändler und Onlineshops bieten eine rundum sorglose Verpflegung an. Oft Masse, manchmal Luxus - selten Klasse.

Kürzlich war ich in Rüdesheim im Weingut Georg Breuer zu einer Verkostung des Weinverbunds "Die Güter" eingeladen. Vor 25 Jahren haben sich neun familiengeführte Weingüter aus neun Weinbauregionen zusammengeschlossen, um gemeinsam ihre Weine zu vermarkten. Die Verkostung ist jedes Jahr ein wirklich außergewöhnliches Hochfest guten Geschmacks. Tradition und Moderne, Leistungsfähigkeit und Gemeinschaftssinn, Anspruch und Qualität werden selten so prägnant und unkompliziert präsentiert. Alter Adel, VDP-Güter und erfolgreiche Winzerinnen (!!!) stehen für eindrucksvolle Spitzengewächse.

Und genau hier musste ich meine Meinung über Rotwein aus Deutschland revidieren. Mein persönliches Highlight: ein 2014er Spätburgunder trocken VDP.Erste Lage aus der Domäne Castell im Steigerwald. Aus Franken! Eine zwar sehr populäre Weinregion, aber immer noch ein (neben der Nahe) sehr unterschätztes Anbaugebiet. Kein Silvaner - die wichtigste Rebsorte der Region. Ein Spätburgunder! Aus der Weinlage Reitsteig, die schon seit 1266 zum heute 70 ha großen Weingut des Fürsten Castell gehört. Steilhang, lehmig-tonige Böden mit Südausrichtung - ideal für kraftvolle und komplexe Rotweine.

Ein Wein nahezu adliger Eleganz, samtig und mit vollem Bouquet. Röstaromen, Kirschen und ein Hauch von Schokolade bestimmen diesen Wein, der 18 Monate im Holzfass ausgebaut wurde. Das Ergebnis von selektiver Handlese und klassischer Maischegärung passt nicht nur zum Sonntagsbraten. Ein Wein für die Begegnung mit guten Freunden an kühlen Herbstabenden. Und, mein Begleiter für die anstehenden Gansessen. Ich freue mich!

Alc. 12,5 %, 18,00 Euro/0,75 l ab Weingut. Mehr Infos unter www.castell.de