Immer,
wenn ich über Wein lese, die vielfältigen Weinbeschreibungen und
-bewertungen sehe, die nahezu astronomischen Punktzahlen für so
unendlich viele Weine begründet bekomme, bei Facebook in den
einzelnen Weingruppen die manchmal mit ungeheurer Vehemenz geführten
Diskussionen über den einen oder anderen Weinstil zur Kenntnis
nehme, und immer wieder über die Vielfalt der Weinwelt staune, dann
fällt mir Sokrates ein - „οἶδα οὐκ
εἰδώς” (von Cicero leicht
fehlerhaft mit “Scio me nihil scire” - “Ich
weiß, dass ich nichts weiß” übersetzt). Ich bewundere die
oftmals sehr geschliffenen Verkostungs-notizen, die mit
elektrisierender Hingabe beschriebenen
Weine – ich stelle mir dann vor, wie der oder die weinaffine
Schreiber oder Schreiberin bei der Verkostung außer Rand und Band
gerät, der probierte Wein ein Heilsversprechen darstellt und der
porträtierte Winzer als neuer Messias erscheint. Die Weinwelt ist
voller Päpste, mehr als die Katholische Kirche je haben wird –
inkl. Gegenpäpste.
Weinbeschreibungen
und Verkostungsnotizen können für den gemeinen Wein-konsumenten
eine gute und sinnvolle Entscheidungshilfe sein. Sie sind aber keine
Offenbarungen. Letztendlich sind sie Ausdruck einer subjektiven
Verarbeitung und Bewertung der durch die Sinne aufgenommenen Reize im
Gehirn. Nicht mehr und nicht weniger. Wein muss verkauft werden. Es
ist ein Markt. Und natürlich soll und muss der Kunde verführt
werden – schon beim Kauf. Das heißt
nicht, dass alle Beschreibungen und Lobeshymnen falsch sind, manche
sind eben nur in meinen Augen absurd. Es darf jeden Weintrinker
trösten: Ein mit 95 von 100 Punkten oder mit 5 von 5 Punkten
bewerteter Wein kann (und oft
trifft das auch zu) in
der Tat ein echtes Highlight sein,
aber in der Häufigkeit der höchsten
Punktvergaben ist dies eben nicht immer der Fall.
Der
Konsument muss sich für sein Geschmacksempfinden nicht schämen.
Es muss nicht immer alles allen schmecken.
Es gibt auch keine Verpflichtung zur Punkte-Gläubigkeit. Bei vielen
meiner Weinveranstaltungen erlebe ich Gäste, die
nahezu verschämt von ihren 'einfachen'
Lieblingsweinen erzählen – oft bei
einem kleinen, fast namenlosen Winzer oder gar im Supermarkt gekauft.
Nicht immer mein Fall, aber, ihnen gefallen diese Weine. Andere
erzählen mir voller Stolz, welche namhaften
Güter sie weltweit schon in ihrem Keller hatten und haben. Ob jene
in einer Blindverkostung die Weine richtig zuordnen würden? Wer
weiß. Es gibt wirkliche Weinkenner. Ja!
Vor ihnen verneige ich mich. Nicht jeder, der sich einen tollen Wein
leisten kann, darüber ausschweifend schreibt oder ihn gar getrunken
hat, ist jedoch einer.
Wein
verlangt Demut. Die des Winzers in den Weinbergen und im Keller, die
des Konsumenten, der die Arbeit des Winzers zu schätzen wissen
sollte.
Jeder Wein hat eine Herkunft, eine Geschichte, die er uns erzählen
will. Wir trinken ihn zu unzähligen Anlässen. Und hören ihm nicht
zu. Dabei erfahren wir nahezu alles über den Wein, wenn er langsam
unsere Lippen benetzt, die Zunge umschmeichelt, den Gaumen küsst und
uns mit vielfältigen Aromen betört. Er will uns seine Geschichte
erzählen – vom Wachsen auf steinigem Boden und seinen tiefen
Wurzeln, den warmen Sonnenstrahlen und den kühlen Nächten, seiner
Angst vor Sturm und Hagel, den schwieligen Händen der
Weinbergsarbeiter, die mit zarter Kraft die Trauben ernten, der
Arbeit im Keller und der Freude über seine Reife. Er schmiegt sich
an uns, erinnert uns an laue Urlaubsabende, eindrucksvolle
Begegnungen, köstliche Essen, verblasste
Lieben und hingebungsvolle Freuden. Im
Genuss kosten wir Geheimnisse. Salvador Dalí formulierte es einmal
ähnlich. Am
Ende ist es aber nur Wein, der getrunken werden will. Trinkt,
was Euch schmeckt. Aber trinkt! Es
ist übrigens die beste Übung zur Entdeckung guter Weine...