Mittwoch, 2. August 2017

Auf nach Lorch!

Rheingauer und Rheingau-Touristen mag es überraschen: Hinter der Bahnschranke in Rüdesheim am Rhein endet nicht die Welt, auch die Fähre nach Bingen ist nicht der letzte Ausweg. Selbst die jahrelangen Baustellen auf der B 42 können mich nicht von einer Fahrt ins Mittelrheintal abhalten - ins UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal. Was für ein klangvoller Name. Dabei geht dem Mittelrheintal so ziemlich jeder Glamour-Faktor ab. Martialische Burgen und Ruinen an den steilen und schroffen Abhängen; kleine, an die Biegungen des Rheines hingeworfene Orte; uralte Weinberge; Menschen, die sich genügen und gar nicht gefallen wollen. Es wird ruhig auf der Strecke, wenn nicht die ewig lärmenden Güterzüge diese wirklich einzigartige Region immer wieder so unwirsch zerschneiden würden. Dabei scheint irgendwie trotzdem die Zeit unvergänglich. Stimmen, die nachhaltig aufrütteln wollen, sprechen gelegentlich vom 'Mief der 70iger'. Ja, die Region hat in der Tat Potential. Ihr Kapital ist eben diese zeitlose und unverfälschte Schönheit, die sich dem entspannten Betrachter bei einer gemütlichen Boots-Partie von Rüdesheim bis St. Goarshausen darbietet. Auf der Fahrt vorbei an Assmannshausen, Kaub, Bacharch, Oberwesel und St. Goar - überall mächtige Burgen und markante Kirchen, viel zu groß für die heutigen Gemeinden. Man kann die vielen Schlachten und Kriege, die manchmal das Wasser des Rheins rot färbten, erahnen. Könige, Fürsten, Bischöfe und Feldherren kämpften um jeden Flussabschnitt. Mal miteinander, mal gegeneinander - je nach aktuellem Feind. Einer dieser Feldherren war der Ritter Johann Hilchen von Lorch. Diesem kaiserlichen Feldmarschall haben wir das wunderbare Hilchenhaus in Lorch zu verdanken. Hervorragend restauriert, wo man es ansonsten mit dem Denkmalschutz im Mittelrheintal nicht so genau nimmt.

Lorch! Ein verwunschenes Kleinod am Rhein. Immer wieder Ort großer Geschichte und doch immer wieder von eben dieser vergessen. Selbst nach dem I. Weltkrieg gehörte es zu keiner Besatzungszone. Kurzerhand gründeten mutige Männer einen eigenen Staat - den Freistaat Flaschenhals. Was heute lustig und verschroben klingt, beendeten die Franzosen 1923 gewaltsam. Marokkanische Hilfstruppen besetzten Lorch. Im Zentrum der kleinen Stadt, die als erste im Rheingau mit Mauer, Türmen und Burg befestigt war, erhebt sich die Kirche St. Martin. Abseits der Touristenströme lohnt sich ein Besuch. Der Hochaltar aus dem Jahr 1483 ist ein außergewöhnliches Kunstwerk. Unterhalb der Kirche liegt das Weingut Graf von Kanitz. Ursprünglich gehörte es dem Staatsmann und Reformer Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein. Seine Mutter war die Eltvillerin Henriette Karoline Langwerth von Simmern. Die Welt ist klein. Seit 1926 ist das Weingut in direkter, wenn auch durchaus komplizierter, Erbfolge im Besitz der Familie von Kanitz, denen auch alle anderen Güter des Reichsfreiherrn gehören.

Familiär geht es im ökologisch zertifizierten VDP-Weingut zu. 13,5 ha bewirtschaften Jens Pape und sein Team. Sie machen kein Gedöns, der Rheingauer sagt 'Gedeeds'. Ihre Profession sind gute, unverwechselbare, lagerfähige Weine. Das gelingt ihnen sehr gut. Viele, hervorragende Bewertungen und Auszeichnungen belegen es. Gleichwohl ist das Weingut immer noch ein Geheimtipp. Man fährt eben nicht einfach so nach Lorch. Man muss es wollen! Dabei begleiten die gutseigenen Weinberge z. B. in der Pfaffenwies schon bei der Anfahrt. Hier kommt die 2015er Lorcher Pfaffenwies Riesling Auslese VDP.ERSTE LAGE her. Ein großer Wein! Oder die Weine aus dem Lorcher Kapellenberg, benannt nach der ehemals hier stehenden St. Markus Kapelle. Lösshaltige Schieferverwitterungen prägen den Boden. 3,5 ha sind dort im Besitz des Weinguts. Und aus dieser Lage kommt auch mein Lieblingswein:2016er Kapellenberg Riesling Kabinett VDP.GROSSE LAGE. Ein wirklich fetter Kabinett, komplex und vielschichtig, noch ein wenig verspielt, volle Fruchtaromen und dezente Säure. Preis: 9,90 Euro/0,75 l ab Weingut. Ein Wein, der noch in Jahren viel Freude bereiten wird.

Mehr Infos unter www.weingut-kanitz.de