Nichts
bewundern! Dieser Pythagoras von Samos zugeschriebene Satz
begeistert, nein, beschäftigt mich gerade jetzt in dieser aktuellen
politischen Lage ganz besonders. Früher, ja früher, da war es ein
anderer Satz von ihm – mit Katheten- und Hypotenusenquadraten.
Diesen Satz habe ich nicht bewundert, lernen musste ich ihn! Wofür?
Ich weiß es immer noch nicht. Man muss nicht alles verstehen, um zu
wissen.
Zurück
zur politischen Lage. Zu aktuellen Vorgängen wollte ich
grundsätzlich nicht mehr schreiben. Schnelllebig, oberflächlich,
nahezu platt äußern sich im Sekundentakt zu jedem Anlass
irgendwelche Experten und weitere bedeutungsvolle Menschen.
Unvollständig, fehlerhaft, aber auf jeden Fall aufgeregt. Wüsste
ich es nicht besser, tagtäglich müsste ich den sofortigen Untergang
der Welt befürchten. In den nächsten Tagen werden die Talkshows
jeden Abend wieder die Zukunft von Martin Schulz diskutieren, überall
Artikel und Kommentare über das Ereignis in NRW. So hart es klingen
mag: In einer Demokratie sind Regierungswechsel ein ganz normaler
Vorgang. Nicht mehr ist in Nordrhein-Westfalen passiert. Vor wenigen
Monaten konnte man die christdemokratischen Ministerpräsidenten in
Deutschland noch an einer Hand abzählen. Hannelore Kraft hatte ihre
Chance, jetzt darf es eben Armin Laschet versuchen. Nil admirari! Er
bewertet zwar Arbeiten, die gar nicht geschrieben wurden. Egal.
Andere können noch nicht einmal einen Flughafen verkaufen,
geschweige denn bauen. Demokratie eben. Die Bürger haben eine
Entscheidungs- und damit eine Gestaltungsmöglichkeit. Die Ergebnisse
müssen nicht immer jeden erfreuen.
Und
natürlich werden in Wahlkämpfen oft Dinge versprochen, die einem
Heile-Welt-Szenario entsprungen sein müssen. Daher erfolgt in aller
Regel nach Regierungsübernahme ein 'Kassensturz' – die Wahlsieger
erden sich. Der Staat ist eben doch keine Kathedrale der
Gerechtigkeit.
Diese
Erkenntnis erstickt unsere Gesellschaft heute gerne mit einem Wahn
des Korrekten. Freundlichkeit im Alltag kann da schon leicht
übergriffig wirken. Es erinnert einen an den Roman von Andrew
Roberts "Das Aachen Memorandum". London im Jahre 2045. Ein
Journalist entdeckt eine ungeheure Verschwörung: Manipulierte
Abstimmungen haben aus dem stolzen Großbritannien einen Wurmfortsatz
der Vereinigten Staaten von Europa gemacht. Brexit lässt grüßen.
Die schlimmsten Phantasien George Orwells werden in dieser fiktiven
Geschichte aus dem Jahre 1998 weit übertroffen. Und so einiges ist
heute schon Wirklichkeit geworden. Lassen wir es dabei bewenden.
Dieser
Wahn des Korrekten ist bei uns gerade bei den Terrorermittlungen
gegen einen Offizier der Bundeswehr, nicht einfach nur ein Soldat,
wieder sehr präsent. Aktionismus soll offensichtliches
staatliches Versagen übertünchen. Es wird wieder gelingen. Wie so
oft.
Kasernen
werden durchsucht, umbenannt, Bilder abgehängt, Lieder verboten.
Wenn wir dies wirklich alles ernst meinten, dann müssten wir auch
unsere Nationalhymne, deren Einführung unsere europäischen Freunde
1952 takt- und geschmacklos fanden, ändern, den Tag der Arbeit und
Muttertag verbieten. Lächerlich. Ja. Es soll auch nur zeigen, wie
wir uns wieder in Nebensächlichkeiten verlieren.
Die
Kernfrage mag der Boulevard nämlich nicht: Wie kann in unserem Staat
ein deutscher Offizier, dessen rechtsradikale Haltung bereits 2014 in
der Bundeswehrführung thematisiert wurde, am 30. Dezember 2015 als
syrischer Flüchtling registriert und anerkannt werden?
Dies
führt mich zu Anis Amri. Hier wird staatliches Versagen mehr als
augenfällig. Trotz der ständigen Unschuldsbeteuerungen des
bisherigen nordrhein-westfälischen Innenministers. Da sitzt ein
Flüchtling knapp vier Jahre in Italien wegen diverser Straftaten im
Gefängnis. Kommt nach Deutschland. Begeht hier weitere Straftaten,
wird beobachtet, mehrfach als Gefährder eingestuft, bedient sich
neun verschiedener Identitäten. Und nichts passiert. Bis zu dem
tragischen Ereignis auf dem Berliner Weihnachtsmarkt.
Seit
Jahren verfolge ich den NSU-Prozess in München. In meinen Augen eine
wichtige Aufarbeitung von Geschehnissen in der rechten Szene. Da darf
es auch überraschen, dass ein Verfassungsschützer, der ohne Zweifel
beim NSU-Mord in Kassel zumindest den Schuss gehört und die Leiche
gesehen haben muss, immer noch im Landesdienst beschäftigt ist.
Nil
admirari! Nichts bewundern
und sich auch nicht wundern. Diese Gnade der Athaumasie mag ein Grad
der Vollendung sein, den ich mir nicht vorstellen kann. Ich bewundere
Menschen, die Haltung zeigen, Verantwortung übernehmen und für
unsere freiheitliche, offene und bunte Gesellschaft einstehen. Und
ich wundere mich über die Gleichgültigkeit eben jener Gesellschaft
beim Umgang mit unseren Verfassungsfeinden.